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  • AutorenbildLajescha Dubler

Z wie Zufall

Ich glaube nicht an Zufall. Ich glaube aber, dass einem Dinge zufallen. Vielmehr: Ich glaube, dass einem DAS zufällt, was für einen bestimmt ist.



In der Reformation haben die Theologen der Epoche heftig über ein damit verwandtes Thema gestritten. Prädestination (Vorherbestimmung) nannten sie es. Menschen, die an Prädestination glauben, wird oft Fatalismus vorgeworfen. Ich sehe mich jedoch weit entfernt davon. Fatalismus hat etwas mit Hoffnungslosigkeit und Resignation zu tun. “Man kann ja sowieso nichts gegen das eigene Schicksal unternehmen.”

Fatalisten sind häufig von Bitterkeit und Enttäuschung über das Leben getrieben. Meine Triebfeder hingegen ist Hoffnung. Ein tiefer Glaube. Und Liebe.

Das mag idealistisch oder naiv tönen. Aber ich glaube, dass wir die Wahl haben, uns immer wieder neu zu entscheiden. Wir können zwar nicht über den Zufall bzw. über das, was uns zufällt (oder eben nicht) entscheiden. Wir können jedoch die Wahl treffen, ob wir das, was uns zufällt, immer wieder mit einem offenen Herzen empfangen, und daran festhalten, dass in allem eine Chance und ein Weg ist. Eben der spezifische Weg, den nur ich gehen kann und soll.


Manche Wege sind im ersten Moment unverständlich und herausfordernd. Zum Teil konträr zu dem, was wir uns vorgestellt oder gewünscht haben.

Nicht allen Menschen scheint das Leben gleich viel zuzumuten. Wenn wir auf das Leben der anderen schielen, kann das frustrierend, entmutigend und ungerecht erscheinen. Wieso hat der andere genau das, was ich eigentlich will? Das, was mir doch zustehen würde? Wir alle kennen Neid und Eifersucht.

Es gibt ein altes Schweizer Kinderlied, das dieses Thema perfekt auf den Punkt bringt: “Dä Hans-Dampf im Schnäggeloch hätt alles was er will. Doch was er will, das hätt er nöd. Und was er hätt, das will er nöd....”. Es kommt nicht von irgendwo her, dass dieser Reim geschrieben wurde. Er birgt – wie so viele einfache Geschichten, Märchen und Lieder aus dem Volksmund – eine tiefe Wahrheit: Wir wollen oft das, was wir nicht haben und das was wir haben, wollen wir nicht. Vielmehr: Wir wollen oft das, was der andere hat – weil es besser aussieht, mehr glänzt, attraktiver erscheint.


Doch wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, möchte ich das der anderen gar nicht mehr. Es sind doch nur Facetten, die ich bei diesen Seitenblicken sehe. Wenn ich ins Gespräch mit dem Gegenüber komme, stelle ich immer wieder fest, dass Nichts und Niemand einfach nur glänzt. Wir alle tragen einen Rucksack. Bei den einen scheint er vielleicht etwas leichter. Ich glaube jedoch, dass er genau das Gewicht hat, das wir tragen können. Auch wenn er sich manchmal unsäglich schwer anfühlt.


Das was mir zufällt, kann ich mit offenen Armen umarmen. Ich kann es aber auch umgehen, verneinen, oder mich abwenden.

So oder so wird es Teil meines Weges sein. Eine Bekannte sagte einmal: “Das Leben legt mir ständig riesige Felsbrocken in den Weg.” Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Es ist frustrierend und entmutigend, vor allem wenn bei den anderen der Weg wie ein lieblicher Gartenpfad aussieht.


Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross zeigt uns einen anderen Blickwinkel auf: “Wenn man doch begreifen würde, dass nichts, was einem begegnet, negativ ist, ich betone, ganz und gar nichts. Es ist eine Gelegenheit, die einem gegeben wird, um seelisch zu wachsen. (…) Man kann nicht seelisch wachsen, wenn man in einem wunderbaren Blumengarten sitzt und sich von jemandem auf einem Silbertablett das grossartigste Essen servieren lässt.” (in: Stertenbrink Rudolf, Der Himmel öffnet sich auf Erden. Ein modernes Lebensbrevier, Verlag Herder, Freiburg 1993, S. 247)

Nun kann man natürlich sagen: Aber ich bin gar nicht daran interessiert seelisch zu wachsen. Wieso das Leben schwernehmen und so tief schürfen?

Ganz einfach deshalb: Je tiefer ich meine Wurzeln wachsen lasse, desto höher kann ich emporstreben. Dabei geht es nicht um Erfolg, sondern darum, dass ich meine Äste immer weiter ausbreiten und immer mehr Raum einnehmen kann. Dann erst kann ich “das Leben, die Art und das Verhalten unserer Mitmenschen, die überwältigenden Geheimnisse des Universums” verstehen (Monika Nemetschek, Selig die Trauernden, denn sie sollen getröstet werden, Verlag Tyrolia, Innsbruck, 3. Auflage 2000, S. 135/136). In dem liegt das wahre Glück, die tiefste Gelassenheit und Zufriedenheit verborgen. Alles andere ist ein Kratzen an der Oberfläche, wo wir nur gerade die fette Sahne abschöpfen. Dass diese Schicht nicht sonderlich ergiebig ist, wird den meisten von uns irgendwann klar.


Ich bin oft frontal gegen die (oben erwähnten) Felsbrocken gerannt. Oder ich habe versucht, sie mit aller Kraft wegzurollen.

Manchmal gab es auch links und rechts keinen Weg daran vorbei. Wenn all diese Strategien versagten, bin ich meist mutlos neben dem Stein auf den Boden gesunken und in Selbstmitleid verfallen. Bis ich erkannt habe, dass mir nichts anderes übrigbleibt, als den Aufstieg in Angriff zu nehmen, und den beschwerlichen (oder zumindest herausfordernden) Weg über den Felsen zu starten. Im Gehen merkte ich plötzlich, dass ich Kräfte und Ressourcen habe, von denen ich gar nicht wusste, dass sie existierten. Im Aufstieg eröffneten sich neue Perspektiven und eine Sicht auf das grössere Bild.


Die bekannte Folk-Musikerin Anaïs Mitchell hat diese Erfahrung wunderbar in einem Song beschrieben:


“Nobody gave me a map of the ridge (Niemand gab mir eine Karte des Bergrückens)


You climb one mountain then you find the next (Du erklimmst einen Berg und dann kommt der nächste)


The tallest summit you look up to (Der höchste Gipfel, den du vor dir siehst…)


Someday it’s gonna look small to you (…wird dir eines Tages klein vorkommen)


There’s a new one coming into view (Ein neuer wird in deinem Blickfeld erscheinen...)


And you’ll climb that too …" (..und auch den wirst du wieder in Angriff nehmen)



Ich habe keine Karte der Bergwelt, die vor mir liegt. Ich kann mir auch nicht deine ausleihen. Unsere Wege werden sich vielleicht kreuzen oder zeitweise nebeneinander verlaufen, aber nie identisch sein. Ich werde Dinge sehen und erleben, die ich mit niemandem teilen kann. Das Leben ist einzigartig, in seinem tiefsten Kern unbeschreiblich und nicht fassbar. Unsere Lebenskarten sind nicht vergleichbar – und das ist gut so. Wir können nur eines tun: Vertrauen, dass wir alle ans Ziel kommen.

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