Das Leben gibt dir keine Wegbeschreibung. Aber zwei Füsse, mit denen du einen Gipfel nach dem anderen in Angriff nehmen kannst.
Ich stehe am Fuss des Berges und schaue hoch. Der Anblick überwältigt mich. Ich sehe den Gipfel in die Wolken ragen und frage mich, wie ich jemals den Aufstieg schaffen soll. Ich bin allein unterwegs und habe das Gefühl, nicht optimal ausgerüstet zu sein. Ein wiederholtes Mal frage ich mich, ob der Proviant wohl ausreichen wird. Ob ich genügend Wasser mittrage.
Während ich dort stehe, überfallen mich Zweifel über Zweifel. Das schaffe ich nie! Dieser Satz geht mir immer und immer wieder durch den Kopf. Mit jedem Mal, wo ich den Satz innerlich ausspreche, werde ich mutloser und habe das Gefühl, die Kraft verlässt mich vollends.
Ich habe schon viele Berge bezwungen und lange, anstrengende Aufstiege gemeistert. Aber nie in diesem Ausmass.
Vor meinem inneren Auge ziehen die zahlreichen Gipfel vorbei, die ich bereits bezwungen habe. Etwas in mir richtet sich auf und fasst neuen Mut. Aber dann verschwindet er, sobald ich wieder einen Blick auf den weit entfernten Gipfel werfe.
Das heisst: den Gipfel sehe ich gar nicht. Er liegt in einem Wolkenmeer verborgen. Es ist neblig heute Morgen. Ein bissiger Wind lässt mich frösteln und macht den Gedanken an den bevorstehenden Aufstieg nicht einfacher. Ich ziehe meine Windjacke enger um mich.
Ja, ich habe schon viele Gipfel bezwungen. Aber ich war nie allein unterwegs. Ich traue mir gar nicht zu, einen Aufstieg alleine zu schaffen. Was wenn ich dabei abstürze? Niemand würde es merken, wenn mein Fuss abrutschen würde und ich in die Tiefe stürze. Wer wird merken, wenn ich im Abseits gelandet bin? Wer nach mir suchen? Mich vermissen?
Ich reisse mich aus meinen negativen Tagträumen heraus. Ganz allein bin ich doch nicht – das stimmt. Ich sehe vereinzelt Menschen am Berg. Auch sie scheinen zu kämpfen und nur langsam vorwärts zu kommen. Aber zumindest sind noch andere unterwegs.
Eigentlich gibt es nur etwas, das mich nicht vollends aufgeben lässt: Da war so ein Traum, den mir eine Freundin vor kurzem erzählt hat. Sie habe eine Postkarte von mir erhalten. Eine Postkarte, auf der ich freudestrahlend auf dem Gipfel stehe. Auf der Rückseite ist die Route eingezeichnet. Ein Zickzackweg, der den Berg hinaufführt. Kein geradliniger Weg – aber ich bin oben angekommen. Freudestrahlend.
Langsam setze ich mich in Bewegung. Was ist die Alternative? Umkehren? Aber wohin? Es wartet niemand auf mich. Zurück heisst an einen Ort, den es nicht mehr gibt. Zudem lockt mich der Gedanke an die Aussicht dort oben. Was werde ich dort oben sehen könne, was ich jetzt noch nicht erblicke?
Die ersten Stunden sind mühsam. Meine Glieder sind noch müde von der Nacht. Ich fühle mich steif und unbeweglich und habe das Gefühl nicht voranzukommen. Ab und zu verlässt mich wieder der Mut und ich möchte mich am liebsten ins Gras fallen lassen und die Augen schliessen.
Aber die Bergluft ist frisch und lässt den Sauerstoff in meinem Blut zirkulieren. Ich wittere Abenteuerlust und …. Leben!
Ich spüre mit jedem Schritt, wie meine Energie zunimmt. Wie mein Tritt sicherer und klarer wird. Ich weiss wo ich hinwill, auch wenn es noch weit weg und nicht sichtbar ist.
Ab und zu begegne ich anderen Wanderern auf dem Weg. Ich bin nicht allein. Wir nicken uns aufmunternd zu, verstehen uns ohne Worte. Auf dem Weg sehe ich Blumen, die ich noch nie gesehen habe. Ab und zu knackt es im Gebüsch und ich sehe auch mal einen Hasen vorbeihoppeln. Es lebt und mich herum und je höher ich steige, desto reiner wird die Luft und desto klarer meine Sicht. Ab und zu ziehen zwar wieder Nebelschwaden durch, aber ich lasse mich nicht mehr beirren.
Eines wird mir im Laufen immer mehr bewusst: nicht zurückschauen, nicht nach hinten blicken. Immer nach vorne.
Vor allem aber immer auf den Weg. Jeden Schritt bewusst machen und nicht hetzen. Der Aufstieg wird noch lange dauern und ich muss meine Energie einteilen. Ich erinnere mich daran, dass auch Pausen wichtig sind. Momente, wo ich ins Gras sitze, die Aussicht geniesse und mich daran freue, wie weit ich schon gekommen bin. Staunen über die neuen Perspektiven, die sich jedem Schritt eröffnen und dankbar sein, dass ich zwei gesunde Beine habe, die mich weiterbringen.
“Nobody gave you a map of the ridge. You climb one mountain then you find the next.”
Dieser Satz (Anais Mitchell) hat sich in meinem Kopf festgesetzt und rutscht langsam ins Herz: “Niemand gibt dir eine Wegkarte für deinen Aufstieg. Du erklimmst einen Berg. Wenn du oben angekommen bist, wirst du den nächsten in Angriff nehmen.” Es geht weiter. Immer weiter.
Immer weiter. Irgendwann merke ich, dass der Gipfel gar nicht mehr so wichtig ist. Ich beginne den Weg zu geniessen. Ich spüre, dass in jedem Schritt Leben und Frieden liegt. Dass meine Kraft zunimmt und ich am liebsten gar nicht mehr aufhören möchte zu laufen. Die Frage, ob und wann ich oben ankomme, verliert immer mehr an Bedeutung. Ich verstehe zum ersten Mal:
Der Weg ist das Ziel.
Ja
der Weg ist das Ziel
das hast du schön beschrieben
Wir müssen achtsam sein auf dem Weg des Lebens und das Vertrauen haben auf das Gute
das Leben – es ist einfach
geniesse es im Hier und Jetzt
vergib und liebe bedingungslos
hab vertrauen
spüre die Urkraft der Ahnen
sie stehen hinter dir
wir sind ein Teil im Unendlichen
die Energien sind da
nutze sie und nimm sie an
Herzlichst
Christian
Ganz starke Metapher!!! Sehr ermutigend