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  • AutorenbildLajescha Dubler

Lieber Minderwert

Wenn’s Zeit ist Schluss zu machen …

Lieber Minderwert

Ich habe mich entschlossen unsere Beziehung zu beenden.

Schon seit längerer Zeit merke ich, dass wir uns auseinandergelebt haben. Unsere Interessen sind nicht mehr dieselben und es gibt je länger je weniger Themen, über die wir zusammen austauschen können.

Früher bin ich oft wie gebannt an deinen Lippen gehangen, habe jedes Wort von dir aufgesogen, dir alles geglaubt. Aber du hast viel von deiner Glaubwürdigkeit verloren. Zwar gibt es immer noch Momente, wo ich deiner aufdringlichen und überzeugenden Stimme erliege, aber bald schon langweilen mich deine leeren, abgedroschenen Phrasen.

Mal ehrlich. Wer möchte schon von seinem Gegenüber ständig hören: Du bist nichts Besonderes, schon wieder hast du versagt, du bist hässlich, alle anderen sind erfolgreicher, du hast keine Chance, du schaffst das nie, du bist nicht liebenswert, du bist zu alt, es ist zu spät, niemand mag dich, du machst dich lächerlich ...

Du hast 1‘000 solcher Sprüche auf Lager und dein Wortschatz ist beneidenswert. Aber eigentlich sagst du immer dasselbe:

So wie du bist, ist nicht gut genug.

Ich habe begonnen mich zu langweilen und Langeweile ist tödlich für jede Beziehung... Es ist schon erstaunlich, wie lange ich dir zugehört und dich erduldet habe.

Das Problem ist deine unglaubliche Präsenz und Allgegenwärtigkeit. Es ist fast unmöglich, dir aus dem Weg zu gehen. Du nimmst jeden Raum ein, den man dir gibt, und willst immer alles.

Hinter uns liegt eine lange und unglaublich intensive Beziehung. Aber Liebe war es nie - das ist mir unterdessen klar geworden. Du warst eigentlich nur daran interessiert, mich langsam zu dekonstruieren.

Und wenn wir schon dabei sind: wirklich treu warst du auch nie.

Du hattest viele Affären, oder vielleicht sage ich besser: Monogamie war nie dein Ding. Du bist immer wieder ungeniert an Familienfesten und in meinem Freundeskreis aufgetaucht und hast dir vor meinen Augen das nächste Opfer angelacht.

Eigentlich sehe ich dich tagtäglich irgendwo rumlungern und jemanden mit deinen aufdringlichen Sprüchen belästigen: auf der Strasse, in der Schule, am Arbeitsort, im Ausgang... Auch bei Minderjährigen bist du nie zurückgeschreckt. Es macht mich so unfassbar wütend, wenn ich dich Arm in Arm mit einem meiner Schüler oder einer Schülerin sehe. Eigentlich je jünger desto besser, denn wo hast du ein leichteres Spiel als bei unserer Jugend?

In unserer Social-Media-Gesellschaft, wo nur noch Spitzenleistungen, ewige Jugend und makellose Instagram-Schönheit gefragt sind und jeder darauf abzielt, sein Leben rundum im Griff zu haben, hast du es einfach.

Wir können bei diesem Rennen eigentlich nur scheitern. Immer dann, wenn wir verunsichert oder geschwächt sind, erscheinst du auf wundersame Weise auf der Bildfläche.

Ich habe lange gegen dich angekämpft, aber musste einsehen, dass es aussichtslos ist. Du hast meine Attacken und meine Rebellion immer mit einem höhnisch-überlegenen Lächeln ausgesessen und gelassen den nächsten Moment abgewartet, wo du zuschlagen konntest. Und der kam bestimmt.

Nein, besiegen kann man dich nicht. Aber ich habe gelernt dich zu entwaffnen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich mache Schluss!

Vermutlich werden wir uns noch öfters sehen. Wie schon erwähnt: es ist schwierig, dir aus dem Weg zu gehen. Aber falls sich unsere Wege wieder kreuzen sollten, werde ich deinem Blick nicht ausweichen. Ich habe keine Angst mehr dich anzusehen. Falls du es trotzdem wagen solltest, mir eine deiner Floskeln anzuwerfen, werde ich dir mein bezauberndstes Lächeln schenken und sagen:

Ich bin gut genug.


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