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  • AutorenbildLajescha Dubler

E wie Einsamkeit

E wie Enthusiasmus. E wie Exzellenz. E wie Empowerment. E wie Erwachsenwerden. Ich habe viele inspirierende Vorschläge für den nächsten Buchstaben im Alphabet erhalten und alle haben in mir Anklang gefunden. Trotzdem habe ich mich entschieden, noch ein wenig länger bei dem Thema von letzter Woche zu verweilen.



Noch nie haben so viele Menschen meinen Blog aufgesucht wie in der vergangenen Woche. Ich erhielt unzählige Nachrichten, Kommentare und weiterführende Gedanken zu «D wie Depression». Die unerwartete Reichweite dieses Beitrags hat mich gefreut, aber auch betroffen gemacht. Es verdeutlicht, dass Depression tatsächlich ein Thema ist, das unsere Gesellschaft bewegt und dass das Bedürfnis besteht, offener darüber zu reden.


Corona, Depression und Einsamkeit


C wie Corona. D wie Depression. E wie Einsamkeit.

Ein bisschen Skrupel habe ich schon, gleich drei so schwere Themen hintereinander zu bringen. Die Reihenfolge entstand zufällig - zufällig hängen sie aber alle sehr eng zusammen.


Auch wenn es «schwere» Themen sind, glaube ich, dass die Auseinandersetzung mit ihnen uns erst wirklich dazu frei macht, Hoffnung, Glauben, Liebe, Beziehung, echtes Miteinander, Dankbarkeit, Authentizität und Freiheit in der Tiefe des Seins zu erleben. Es gibt viele Lifestyle- und Motivations-Trainer, die uns das positive Denken und visionserfüllte Leben beibringen wollen. Sie haben absolut ihre Berechtigung und die Lektüre solcher Bücher fasziniert mich auch immer wieder. Aber die Tiefenstruktur unseres Seins und die Prägungen und Erfahrungen, die wir in unserem Leben gemacht haben, können sie nicht nachhaltig verändern.


Erst wenn ich mich mit den Schattenseiten meines Seins konfrontiere und ihnen nicht mehr ausweiche, kann ich mich letzten Endes auch von ihnen trennen und sie hinter mir lassen.

Das, was ich verdränge, verschwindet vielleicht kurz- bis mittelfristig aus meinem Blickfeld – aber im Unsichtbaren und Geheimen gewinnt es nur noch mehr an Macht und Grösse und wird mich irgendwann wieder einholen. So wie dieser lästige, hässliche Baum in unserem Garten, der irgendwann einfach aus einem wilden Zweig emporschoss, obwohl er nie gepflanzt worden war. Er bedrängte die anderen Pflanzen, die ich mit viel Liebe ausgewählt und grossgezogen hatte. Jahr für Jahr kappten wir den sichtbaren Teil einfach ab, weil es zu mühsam und anstrengend gewesen wäre, den Wurzelbereich auszugraben. Doch Jahr für Jahr trieb er wieder aus – jedes Mal stärker, dicker, lästiger.


Den Dingen an die Wurzel gehen – auch wenn es heisst, das verkrustete, harte Erdreich unseres Seins aufzubrechen – verlangt Zeit, Raum und Geduld und vor allem unglaublich viel Mut. Oft hat der Störenfried Ausläufer und wilde Triebe gebildet, die sich im Laufe der Jahre unbemerkt ausgebreitet haben. Die Auseinandersetzung mit mir selbst und meiner Geschichte bleibt deshalb ein lebenslanger Prozess.


Wenn Einsamkeit zur Bedrohung wird


Die letzten 1.5 Jahre haben in unserer Gesellschaft Themen an die Oberfläche gebracht, denen wir normalerweise lieber ausweichen. Einsamkeit ist eines davon.


Einsamkeit ist für viele von uns bedrohlich, mit Scham und Minderwert behaftet (wer gibt schon gerne zu, dass er einsam ist?), schmerzhaft, verwirrend.

Nur wenige Menschen entscheiden sich bewusst, in die Einsamkeit zu gehen, die Stille zu suchen, das Alleinsein freiwillig auszuhalten. Doch oft sind es gerade diese Menschen, die eine Stärke und Unerschütterlichkeit ausstrahlen, die wir bewundern und die uns anzieht. Wir spüren, dass sie nicht darauf angewiesen sind, ihre Bedürfnisse und Nöte durch das Gegenüber zu stillen. Sie sind nicht weltfremd, wie man ihnen vielleicht vorwerfen möchte, sondern haben vielmehr verstanden, was diese Welt und sie selbst umtreibt und antreibt. Meine Therapeutin meinte vor kurzem: «Es ist einfacher im Leben, wenn man gelernt hat allein zu sein. Das heisst nicht, dass wir keine erfüllenden Beziehungen leben können und sollen. Aber wenn wir nicht abhängig davon sind, immer und überall von Menschen umgeben zu sein, sind wir letztendlich freier.»


«Auch wenn ich grundsätzlich gut allein sein kann, gibt es doch immer wieder Momente in meinem Leben, wo das Gefühl der Einsamkeit aus irgendeiner Ecke an mich heranschleicht. Wo plötzlich das Gefühl aufkommt, keine Freunde zu haben, nicht verstanden zu werden, völlig allein zu sein. Solche Momente lösen Ängste oder gar Panik aus.» (Gepräch mit einer Freundin)

Wenn wir ehrlich zu uns sind, dann kennen wahrscheinlich die meisten von uns dieses Gefühl. Wenn wir aktiv im Leben stehen und wenn alles gut läuft und rollt, sind solche Empfindungen weit entfernt. Aber gerade die letzten 1.5 Jahre haben uns unerwartet mit diesen Momenten konfrontiert und bei vielen Menschen Einsamkeit und Verlassenheitsgefühle hervorgerufen.


Oft bringen solche Momente Gefühle zum Vorschein, die viel weiter in unserer Geschichte zurückliegen. Eine Freundin von mir bezeichnete es einmal als «Lebensverlassenheit».


Es ist nicht die momentane Einsamkeit, die uns wirklich bedroht, sondern oft ein Gefühl von Verlassenheit, das irgendwo in unserem Leben entstanden ist - oft schon im Kindesalter.

Das macht die Situation zwar nicht einfacher. Aber sie schafft Distanz zur Bedrohlichkeit und ermöglicht einen Zugang von aussen.



Wege aus der Einsamkeit


Einsamkeit kann man nicht einfach hinter sich lassen. Sie ist eine Realität des Lebens, mit der wir immer wieder konfrontiert werden und wir können ihr auch nicht permanent ausweichen. Ständiger Aktivismus, übermässiger Konsum von Medien oder Betäubungsmitteln, Verdrängung durch Arbeit und andere Coping-Strategien können das Gefühl der Einsamkeit zwar oberflächlich ausblenden, aber nie vollständig zum Verschwinden bringen. In den tiefen und entscheidenden Lebensfragen sind wir auf uns allein gestellt. Diese Lebensfragen lassen sich meist nur im Rückzug und in der Stille beantworten. Dort sind wir herausgefordert, uns selbst zu begegnen.


In der Einsamkeit merken wir, ob wir die Gemeinschaft mit uns selbst überhaupt geniessen können. Ob wir uns selbst ein angenehmes und willkommenes Gegenüber sind, oder ob es zu viele Tabu-Themen gibt, die wir im Gespräch mit uns selbst umschiffen müssen.

Die Vorstellung, dass ich mir selbst bester Freund und beste Freundin sein könnte, weil ich mir so vertraut bin und mich mit allen Ecken und Kanten liebe, ist eine unglaublich befreiende Vorstellung. Bei diesem Gedanken verliert jeglicher Moment der Einsamkeit und des Alleinseins seine Bedrohlichkeit. Wir werden die Gemeinschaft mit uns selbst nicht mehr meiden, sondern aktiv suchen und aus diesen Zeiten neue Energie und Lebenskraft gewinnen. So wie aus jeder guten und echten Beziehung.


Wenn wir der Stille jedoch fortlaufend ausweichen, erschöpfen wir uns langfristig. Alles, was wir verdrängen oder in eine Ecke unseres Seins zurückdrängen, beschneidet unsere persönliche Freiheit und die Fülle, wie wird das Leben erleben könnten. Das, was in den verborgenen Ecken unseres Lebenshauses lauert und eine Bedrohung darstellt, die es gilt in Schach zu halten, braucht Energie und Lebenskraft. Ich habe mich irgendwann entschieden, dass ich diese Ressourcen lieber dafür einsetzen möchte, mein Leben in der ganzen Fülle und Breite zu entdecken, die es mir bietet. Das heisst aber auch, dass ich mich mit unangenehmen Themen auseinandersetzen muss – dass ich Schmerz, Unsicherheit, Scham, und eben auch Einsamkeit zulasse, wenn sie mir über den Weg laufen. Dass ich mir die Frage stelle, weshalb ich die Gemeinschaft mit mir selbst als bedrohlich oder unangenehm finde. Die Antwort ist oft nicht einfach zu akzeptieren, aber sie führt mich in eine grössere Freiheit.


Einsamkeit, wie viele andere bedrohliche Zustände, kann uns völlig unerwartet überraschen oder überrollen. Wir können dann vor ihr davonrennen, wie vor einer Tsunami-Welle. Wir können aber auch innehalten, das Gefühl in uns aufsteigen und die Welle hochschlagen lassen und dann zusehen, wie sie wieder sinkt und langsam am Ufer ausrollt.

Das, was sie aus der Tiefe hervorholt und an den Strand spült, können wir mit Neugierde und Achtsamkeit auflesen. Wir können uns die Zeit nehmen und in den Sand sitzen. Den Fund in unserer Hand halten und von allen Seiten betrachten, bis er seinen Schrecken verliert. Dann können wir ihn in Ruhe dem Wasser zurückgeben und hinter uns lassen.


Wenn wir gelernt haben, mit unserer eigenen Einsamkeit umzugehen und sie nicht mehr als bedrohlich zu empfinden, weil wir verstanden haben, welche Teile unsere Geschichte dahinterstehen, dann werden wir das Alleinsein lernen geniessen. Wir werden merken, dass uns diese Momente in Berührung mit unserem inneren Reichtum bringen. Beziehungen werden dann nicht mehr eine Notwendigkeit sein, um unsere Leere zu füllen, sondern ein Geschenk, das wir annehmen und weitergeben dürfen.


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