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  • AutorenbildLajescha Dubler

Die "Bucket List"

„Bucket List“ (auf Deutsch: Löffelliste) ist laut Wikipedia deine individuelle Sammlung von Zielen und Träumen, die du noch erreichen möchtest. Sozusagen eine To-Do-Liste für dein Leben, bevor du den „Löffel“ abgibst.



Trendbegriffe gehen häufig an mir vorbei. Seit einiger Zeit klärt mich jedoch ein wesentlich jüngerer Bekannter über allfällige Trends auf, damit mir zukünftig peinliche Momente erspart bleiben.


Der Begriff „Bucket List“ ist trotzdem an mir vorbeigegangen und hat erst neulich Eingang in mein Wissens-Repertoire gefunden. Und zwar durch die Lektüre von John Strelecky’s „Safari des Lebens“. Sein Konzept der „Big Five for Life“ war überzeugend:


Was möchtest du sehen und erleben, bevor du diese Erde verlässt?

„Bucket List“ (auf Deutsch: Löffelliste) ist laut Wikipedia deine individuelle Sammlung von Zielen und Träumen, die du noch erreichen möchtest. Sozusagen eine To-Do-Liste für dein Leben, bevor du den „Löffel“ abgibst.


Eigentlich erstaunlich, dass ich nicht schon früher auf diesen Begriff gestossen bin. Ich liebe es, Ziele und Träume zu definieren und alles daran zu setzen, dass sie eines Tages Realität werden. Doch obwohl ich von Strelecky’s wundersamer Erzählung sehr angetan war, löste es nicht den Impuls aus, eine solche Bucket List zu erstellen.


Der Begriff blieb dennoch im Hinterkopf haften und wie so oft im Leben stolperte ich in der Folgezeit etliche Male darüber. So zum Beispiel bei der Ferienplanung mit einer Freundin, die mir ebenfalls beiläufig und als wäre es das Normalste der Welt, von ihrer Bucket List erzählte.


Ich fragte mich daraufhin, weshalb bei mir die Idee einer solchen Liste nicht auf mehr Resonanz stösst. Dabei merkte ich, dass es viel damit zu tun hat, wie ich leben möchte.

 

Ich bin hier und alles ist jetzt


Ich möchte im Hier und Jetzt leben. Je länger, je mehr. Ich höre oft, wie Menschen sagen: Das spare ich mir für die Pension auf. Oder: Dafür habe ich dann Zeit, wenn ich pensioniert bin. Oder: Zuerst müssen die und die Bedingungen gegeben sein, damit ich mir diesen Gedanken überhaupt erlauben kann. Wenn dann jemand im Umfeld unerwartet stirbt, ist der Schock und das Unverständnis oft riesig. Selten scheint es jedoch den Gedanken auszulösen, dass man Dinge nicht verschieben oder aufsparen sollte.


Vor kurzem hörte ich die Geschichte eines jungen Mannes, der seinen jüngeren Bruder bei einem Autounfall verloren hatte. Als er am Grab sass und trauerte, fragte er Gott:


"Wieviel Zeit habe ich noch zu leben?" Gott antwortete ihm: "Heute. Heute hast du alle Zeit zu leben."

 

Das Leben ist ein Fluss (kein Kanal)


Strategien und Planung sind hilfreich und oft sinnvoll. Aber in unserer westlichen Mentalität bleiben wir häufig daran kleben und sind dann nicht mehr offen für die unerwarteten Wendungen, Begegnungen und Gelegenheiten, die sich im Prozess ergeben.

Das Leben ist nun mal kein Kanalsystem, auch wenn wir gerne versuchen, es so einzugrenzen und zu beherrschen. Wenn das Wasser über die Ufer tritt, was bei kanalisierten Flüssen sehr schnell passiert, sind wir überfordert und nehmen es als eine Katastrophe wahr.


Vielleicht sollten wir uns mehr an die Erkenntnisse der Umweltwissenschaften halten, wo Renaturierungs-Prozesse unterdessen Standard geworden sind: Kanäle werden wieder zu naturnahen Flussläufen umgebaut, die frei durch die Landschaft mäandern und sich ihren Weg natürlich bahnen. Der interessante Nebeneffekt: die Hochwassergefahr sinkt und die Lebensqualität steigt, weil wieder vielfältiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen entsteht.


Wenn ich diesen Gedanken auf mein Leben übertrage, sehe ich viele Parallelen.


Je mehr ich den Anspruch loslasse, mein Leben in eine bestimmte Bahn zu lenken (und auch dort zu behalten!), desto lebendiger und sinnerfüllter fühle ich mich.

Das ist keine einmalige Entscheidung. Renaturierungs-Prozesse brauchen Zeit. Wenn wir uns dazu entscheiden, Kontrolle abzugeben und den Dingen ihren Lauf zu lassen, fühlt sich das zuerst nicht immer harmonisch und schön an. Als der Flusslauf in Klosters (GR) renaturiert wurde, sah die umliegende Landschaft lange Zeit wüst und leer aus. Die Tiere und Pflanzen mussten ihren Weg zurückfinden und das brauchte viele Jahre. Doch es hat sich gelohnt: Heute ist die Landschaft entlang der Landquart wieder verspielt und belebt und ein echter Erholungsraum.

 

Life happens while you are busy making plans


John Lennon brachte es wunderbar auf den Punkt: «Life is what happens while you are busy making other plans”. Das Leben findet statt, während wir damit beschäftigt sind, andere Pläne zu machen.


Wie oft verpassen wir doch die bedeutsamen Momente, weil wir zu beschäftigt damit sind, Zukunfts-Szenarien zu entwerfen und uns über ihren möglichen Outcome den Kopf zu zerbrechen.

Aber auch die kleinen, scheinbar unbedeutenden Momente, wie der soeben erblühte Magnolienbaum oder der wunderschöne Sonnenuntergang, den wir nicht wahrnehmen, weil wir während der Zug- oder Busfahrt die ganze Zeit auf unser Telefon gestarrt haben.   


Es berührt mich immer wieder, wenn ich die kleinen Dinge im Alltag bewusst wahrnehme. Ich versuche das täglich in meinem Tagebuch festzuhalten und mich daran zu erinnern: all die schönen Momente, die ich heute erleben durfte. Das Aufschreiben dauert selten länger als 5min, aber der Effekt ist nachhaltig. Da stehen Dinge wie:


  • Springende Fische in der Limmat, die auf dem Arbeitsweg ein Lachen auf mein Gesicht zauberten

  • Kurzes Gespräch mit einer Arbeitskollegin, wo sie etwas Persönliches mit mir teilte und ich zum ersten Mal eine Verbindung spürte

  • Wurde heute von einer Fremden angesprochen und stand dann 30min auf dem Trottoir, während sie mir ihre Lebensgeschichte erzählte

  • Tischtennis-Session mit ein paar Freunden, bei der ich so viel lachte und die mich unglaublich belebte


Beim Schreiben stelle ich fest: Diese kleinen und scheinbar unbedeutenden Momente haben eine so viel grössere Wirkung auf meine Zufriedenheit und Erfülltheit als die «grossen» Momente. Als ich das erste Mal vor 10'000 Zuschauern auf der Bühne stand und spielte, war das zwar ein unvergesslicher Moment, aber er weckte das Verlangen nach MEHR und GRÖSSER – eine Unersättlichkeit, die unserer Kultur so eigen ist. Die oben beschriebenen Tagebucheinträge hingegen lösen ein Gefühl von «jetzt macht mein Leben Sinn» aus.

 

Die entscheidenden Dinge stehen nicht auf der Bucket List


Diese These mag etwas platt klingen. Aber ihr tieferer Sinn hat sich mir in den vergangenen Wochen nochmals neu erschlossen. Kurz vor Weihnachten entschied ich kurzfristig, eine längere Auszeit zu nehmen. Der Gedanke stand schon länger im Raum, aber ich fand es angesichts meiner Situation übertrieben, oder unnötig, einen solchen Schritt wirklich in Tat umzusetzen. Die Jahresplanung fürs 2024 hatte ich bereits in Angriff genommen. Da standen etliche Projekte drauf, die viel Zeit in Anspruch nehmen und hoffentlich grossen Ertrag abwerfen würden.


Verschiedene äussere Umstände und der sanfte Hinweis einer Freundin – «vielleicht solltest du doch nochmals den Gedanken einer Auszeit in Erwägung ziehen» - brachten mich schliesslich zum Umdenken.


Als ich diesen Text schrieb, lagen noch zwei Wochen Auszeit vor mir. Ich hatte die 7 Wochen davor im Gästehaus eines grossen Benediktinerklosters in Deutschland verbracht. Zusammen mit 13 anderen Menschen, die ebenfalls das Bedürfnis hatten, sich aus allem rauszunehmen und miteinander ein Stück Weg zu gehen. Ich hätte mir wahrscheinlich keinen davon freiwillig ausgesucht. Aber jeder einzelne ist mir ans Herz gewachsen und ich habe schon lange nicht mehr so tiefe und echte Verbindung gespürt und erlebt wie an diesem Ort. Noch vor wenigen Monaten hätte ich nie gedacht, dass mir 2024 eine derartige Fülle von Begegnungen, neuen Erkenntnissen und Perspektiven schenken würde. Es ist alles anders rausgekommen, als ich ursprünglich geplant hatte – aber ich bereue keine Minute von dieser Abweichung.


Die entscheidenden Dinge stehen wahrscheinlich nicht auf deiner Bucket List.

Aber vielleicht gehören sie zu den «Big Five» deines Lebens.


Ich kann sogar sagen:


Es ist etwas vom Besten, was mir passieren konnte.


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