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  • AutorenbildLajescha Dubler

A.U.S.Z.E.I.T.

Es beschäftigt mich, dass wir uns so wenig Zeit nehmen für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Dass wir so selten innehalten. Dabei wäre es so einfach.

Auszeit.

Es braucht nicht viel.

10min wären schon ein Anfang.

Kurz hinsitzen und in sich hineinhören.

Nur ich und meine Gedanken. Keine Musik, keine Social Media, keine Whatsapp-Nachrichten, keine Agenda.


Ich realisiere plötzlich, dass mein Kopf wie ein Schnellzug rast.

Täglich 1x Paris retour mit dem TGV. Ohne Zwischenhalt.


Wenn ich gelegentlich aus dem Fenster schaue, stelle ich beiläufig fest, wie der Tag an mir vorbeirauscht. Mein Leben im Zeitraffer vorbeizieht.

Am Abend steige ich etwas benommen aus dem Zug aus und schleppe mich nach Hause. Erschöpft. Nur: von was?


Zu Hause merke ich, dass ich mir gar nicht Zeit genommen habe, Paris zu besichtigen. Und all die Orte auf dem Weg dorthin. Besancon. Dijon. Troyes. Ich hatte nicht mal aufgeschaut, als wir an diesen wunderschönen Städten vorbeifuhren.


Aber ich hätte sowieso nicht aussteigen können. Auf der Reiseetappe waren keine Zwischenhalte eingeplant.


Ich hätte vielleicht die Notbremse ziehen können…


Was wäre dann passiert? Ich hätte bestimmt viele verärgert und vor den Kopf gestossen.


Es sind doch täglich so viele mit dem Schnellzug unterwegs.

Wenn ich mich entscheide, die Bremse zu ziehen, bringe ich mein Tageskonzept, ja eine ganze Gesellschaftsstruktur durcheinander, die so wunderbar funktioniert und unglaublich effizient ist.


Trotzdem stört es mich mehr als früher, wenn alles an mir vorbeirast. Wenn mein Blick nie auf etwas ruhen kann. Wenn ich nirgends verweilen und einfach zwecklos Zeit verstreichen lassen kann.


Deshalb entscheide ich mich gelegentlich, die Notbremse zu ziehen. Und zwar immer wieder. Leider geht es nicht anders, denn freiwillig hält der Zug nicht an.


Eine Alternative wäre den Zug zu wechseln. Zum Beispiel auf den Tourbolino oder die Appenzellerbahn umzusteigen. Die halten zwar ständig und sind unglaublich langsam. Es hat auch nicht so coole, hippe Leute an Bord. Dafür viele Wanderer, Kinder und andere Pläuschler, die sich den Tag mit Zugfahren zu vertreiben scheinen. Die noch Zeit haben, staunend aus dem Fenster zu schauen und in Begeisterung auszubrechen, wenn sich plötzlich der Säntis in der Ferne erhebt. Oder eine Kuhherde vorbeizieht.


Es gibt viele vernünftige und attraktive Gründe, den TGV für seine tägliche Reise zu verwenden. Aber je länger, je mehr bevorzuge ich den Tourbolino. Da sehe ich die Landschaft gemächlich an mir vorbeiziehen. Da merke ich auf einmal, wie schön es um mich herum ist. Und ganz nebenbei kommen meine Gedanken zur Ruhe.

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