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  • AutorenbildLajescha Dubler

A wie Angst

Manchmal wirft einem das Leben Themen ins Gesicht, die so gar nicht auf der Agenda standen: Zerbruch, Abschied nehmen, Loslassen, Trauern, Verantwortung übernehmen, Sprung ins Ungewisse, Neu-Beginn.


Manchmal wirft einem das Leben Themen ins Gesicht, die so gar nicht auf der Agenda stehen: Zerbruch, Abschied nehmen, Loslassen, Trauern, Einsamkeit, Verantwortung übernehmen, Sprung ins Ungewisse, Neu-Beginn.


Manchmal auch alles gleichzeitig. Die genannten Themen hängen ja so schön zusammen – wieso also überhaupt auseinanderdividieren?


Wenn mir diese Themen wieder einmal auf dem Silbertablett serviert werden, läuft meist folgender innerer Dialog ab:

Wieso ich? Wieso jetzt? Wieso schon wieder?

Ich dachte, ich hätte meine Lektion beim letzten Mal endgültig gelernt. Hätte alles bereits losgelassen, was losgelassen werden kann. Schon oft genug Abschied genommen. Immer wieder gewagt und nie aufgegeben. Oft hingefallen, aber stets wieder aufgestanden und weitergemacht.

War das nicht Lehre genug? Habe ich jetzt nicht mal Anspruch auf einen langen, ungebremsten Höhenflug? Auf ungetrübtes Glück? Was genau, bitte schön, ist der Sinn hinter diesen Krisen?


Ich lerne immer wieder neu, dass alle diese Themen Teil des Lebens sind und deshalb wiederholt an die Oberfläche kommen. Manchmal in grossen Abständen, manchmal gehäuft. Bei einigen zerbricht das Leben bereits in der Jugend, andere werden erst in der Midlife-Crisis, bei der Pensionierung oder vielleicht auch erst auf dem Sterbebett damit konfrontiert. Aber niemand kann ihnen ewig ausweichen.


In der letzten Zeit geht mir oft der Film V for Vendetta (dt.: V wie Vendetta, mit Natalie Portmann) durch den Kopf. Nur wenige Filme habe mich nachhaltig so beschäftigt und herumgetrieben. Die Kernaussage (hinter der fast märchenhaften Story) ist simpel und gleichzeitig knallhart:

Erst wenn du deinen grössten Ängsten ins Gesicht geschaut hast, bist du wirklich frei.

Meine zu Beginn genannten Themen (und sicher noch viele weitere), lassen sich eigentlich alle unter dieser Ober-Kategorie Angst zusammenfassen: Angst vor dem Loslassen, Angst vor Leid und Schmerz, Angst vor dem Alleinsein, Angst vor dem nach Aussen treten und mit dem, was man hat vorwärts zu gehen, Angst vor Zurückweisung, Angst davor unterzugehen, Angst keinen Platz, keine Anerkennung oder Bestätigung zu erhalten … Die Liste ist endlos.


Vielleicht werden Freischaffende und Künstler wie ich öfters mit diesen Ängsten konfrontiert. Gerade in jüngster Zeit. Aber letztendlich kennen wir sie doch alle und ebenso vereint sind wir in der Kunst des Verdrängens. Manchmal werden wir jedoch unbarmherzig in eine Sackgasse getrieben, aus der es keinen Ausgang mehr gibt. Wenn wir dann bis ans Ende gerannt sind und vor der unüberwindbaren Mauer stehen, können wir uns eigentlich nur noch umdrehen und unserem Verfolger ins Gesicht schauen.


Klingt logisch, ist aber gar nicht so einfach. Ich kenne nur wenige Menschen, die sich freiwillig ihren Ängsten stellen. Vielleicht der Flugangst, ja, oder der Prüfungsangst. Aber diesen tieferliegenden Ängsten, die mit unserer Geschichte, Prägung, unserem Elternhaus, unseren Erfahrungen, Enttäuschungen und Demütigungen zusammenhängen, begegnen wir oft erst in Extremsituationen und Momenten tiefster menschlicher Not.


Ich höre in meinem Umfeld oft, dass ich den Anschein mache, alles im Griff zu haben. Dabei ist das alles nur eine unglaublich gut eintrainierte Coping-Strategie. Die Wahrheit ist:


Ich habe fast immer eine Riesen-Angst im Bauch, aber das hält mich nicht davon ab, es trotzdem zu tun. (Viv Albertine, To throw away unopenend). Das Zitat ist nicht von mir, aber für mich massgeschneidert.

Die Realität ist: Ich muss mich immer wieder neu überwinden, meinen grössten Ängsten ins Gesicht zu schauen. In diesen Momenten stelle ich mir die Frage: Vor was genau habe ich eigentlich Angst? Meist werden wir durch diffuse Angst-Gefühle gelähmt und vergessen dabei, die wirkliche Angst beim Namen zu nennen. Schon bei diesem Schritt verliert sie aber einen Teil ihrer Bedrohlichkeit. Und dann frage ich mich: Was ist denn das Schlimmste, das mir passieren kann? Das Schlimmste ist nie angenehm oder schön sich vorzustellen, aber es ist auch nicht bodenlos. Manchmal ist sinken die einzige Option – das morsche Rettungsboot verlassen und sich in die schwarze Tiefe fallen lassen.


Vor kurzem habe ich auf einem Spaziergang mit meiner Begleitung darüber sinniert, was genau ich denn auf dem Meeresgrund vorfinden würde. Allerlei schauerliche Organismen und Gerippe von längst versunkenen Schiffen, bis zur Unkenntlichkeit mit Algen überwuchert und einbruchgefährdet. Es sind Relikte aus der Vergangenheit, längst vergessen oder aus der Erinnerung verdrängt.


Wir finden sie nur, wenn wir es wagen, bis ganz zum Grund zu sinken - zum Grund unseres Wesens.

Die Gerippe sind meist verknöchert, versteinert, die Eingänge zum Innern verklemmt. Aber wenn wir uns behutsam und liebevoll einen Weg hineinbahnen, die Trümmer wegräumen und den Schleim und die Algen wegwischen, kommt die ursprüngliche Schönheit wieder hervor. Dann finden wir in vor langer Zeit verschlossenen Truhen unermessliche Schätze, von denen wir nur noch geahnt haben, dass sie irgendwo lagen.


Wenn wir bis in die Tiefe gesunken sind, merken wir zuerst oft gar nicht, dass sich etwas verändert hat. Plötzlich haben wir aber wieder Boden unter den Füssen und Grund, auf dem wir stehen können. Tiefer geht es nicht. Wenn wir den Grund erforscht haben, können wir endlich wieder an die Oberfläche steigen, zurück ins Leben, mit einem Schatz, den uns niemand mehr nehmen kann.


Diese Analogie lässt sich auch auf die zu Beginn erwähnte Sackgasse anwenden: Wenn ich es einmal gewagt habe, dem Verfolger ins Gesicht zu schauen, wird er sich letztendlich zurückziehen und ich werde die Sackgasse als freier Mensch verlassen.


Ich glaube, dass die momentanen Umstände viele Ängste an die Oberfläche kommen lassen. Wir können es als Einladung sehen, uns selbst zu begegnen und uns besser kennenzulernen.

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